Laurent Delage und Franz Hainzl im Interview

Um vom Jahr 2013 eine Bilanz zu ziehen, führt Verena Altenburger (VA) ein Interview mit Laurent Delage (LD) und Franz Hainzl (FH).

VA: Wie viele Geschäftsreisen habt ihr unternommen und wo wart ihr denn heuer geschäftlich unterwegs? 

LD: Ich bin dieses Jahr etwas weniger verreist als letztes Jahr. Nur 26 Reisen, alle innerhalb Europas ! Paris (7 Mal), Stuttgart (3 Mal), Budapest (2 Mal), Düsseldorf, Bremen, Frankfurt, Essen, Vilnius, Genf, Basel, Lyon (2 Mal), Strasbourg, Bordeaux, Nancy, Clermont-Ferrand, Montpellier, Saint-Céré, La Côte Saint André, Luxemburg, Salzburg, Innsbruck, Gmünd...

VA: Gmünd?

LD: Ja, Gmünd im wunderschönen Waldviertel. Das ist da, wo Franz sein grünes Refugium hat und wo wir tolle Brainstormings machen.

FH: Die positive Aura meiner alten Heimat hat eine enorme Kraft allein schon durch den enormen "Steinreichtum" und wir lieben beide die kreative Inspiration der Region. Meine Reisedestinationen waren ähnlich denen Laurents, nur etwas weniger in Frankreich natürlich. Die Konzert-, Opern- und Festspielorte, an die wir unsere Künstler vermitteln, sind ja im Prinzip dieselben, nur eben zu unterschiedlichen Terminen.  

VA: Wie wählt ihr denn eure individuellen Reiseziele ?

LD: Ich bin dort, wo meine Künstler auftreten! Da es aber mittlerweile sehr viele Verpflichtungen sind, was mich natürlich freut, musste ich im Laufe der Zeit etwas selektiver werden und mich auf die Auftritte - sei es Oper oder Konzert - konzentrieren, die ich für unumgänglich halte.

FH: Die Künstler bei entscheidenden Auftritten zu betreuen und den Kontakt mit den diversen Veranstaltern zu pflegen ist das Um und Auf unserer Tätigkeit.

VA: Was sind eure besten musikalischen Erinnerungen des Jahres mit unseren eigenen KünstlerInnen ?

LD: Wenn ich eine einzige Erinnerung nenne, dann sind viele eifersüchtig ! Meine besten Erinnerungen sind also nicht weniger als meine Künstler und ich möchte eine Art Inventar à la Jaques Prévert  erstellen: Marion Tassou als Héro (Béatrice et Bénédict) in Berlioz' Geburtsort La Côte-Saint-André, Heather Newhouse als Pamina an der Opéra national de Lyon, Gabrielle Philiponets allererste Violetta, Anaïk Morel als spektakuläre Einspringerin in La Damnation de Faust (Marguerite) an der Staatsoper Stuttgart, Delphine Galou als nicht weniger spektakuläre Einspringerin in Glucks Orphée et Eurydice in Montpellier, Sophie Marilleys spannender Komponist (Ariadne auf Naxos) an der Staatsoper Stuttgart, Julien Behrs erstklassiger Arbace (Idomeneo) im Theaters an der Wien, Reinoud Van Mechelens Lidio (Cavallis Egisto) in Luxemburg. Was meine Regisseure anbelangt, war ich von Les Pêcheurs de Perles von Vincent Boussard (mit dem großen Künstler Vincent Lemaire an seiner Seite für das Bühnenbild) an der Opéra national du Rhin und Ernani von Jean-Claude Berutti am Lithuanian National Opera Theatre sehr begeistert. Was meine Dirigenten betrifft, so wären da Facundo Agudin an der Spitze seines beachtenswerten Ensembles Musique des Lumières in L'Histoire du soldat gekoppelt am selben Abend mit Der Kaiser von Atlantis; eine von Sébastien Rouland dirigierte Neuproduktion von Werther am Aalto-Theater in Essen, die in nichts den größten DirigentInnen nachsteht. Von Arie van Beek, der verschiedene Epochen und Stile immer mit einem vorzüglichen und eindrücklichen Sinn für Balance zu verbinden weiß, bleibt mir besonders sein Konzert mit dem Orchestre de Chambre de Genève in Erinnerung, bei dem er uns die Symphonie von Haydn "Le Soir" in Verbindung mit einer Uraufführung von Ludovic Thirvaudey, "Young Apollo" von Britten, einem Concerto grosso von Händel und der Symphonie Nr. 1 von Prokofjew präsentierte. Arie van Beek pur und vom Feinsten! Ich möchte auch zwei Höhepunkte mit meinen Ensembles erwähnen: Die Entdeckung von Pierre-Louis Dietschs Le Vaisseau fantôme im Wiener Konzerthaus mit Les Musiciens du Louvre Grenoble und ein sensationelles Rameau-Konzert an der Opéra Royal de Versailles mit Les Ambassadeurs.

FH: Eine schwierige Frage, denn es sind für mich nicht immer die von den Medien am stärksten reflektierten Auftritte meiner Künstler, sondern jene Auftritte, die mir den Eindruck vermitteln, dass der Weg des jeweiligen Künstlers der genau richtige ist. Für den einen ist das eine Repertoireerweiterung, für den anderen eine Neuorientierung, für den einen die Entdeckung bisher wenige begangener Repertoirebereiche, für manchen die Eroberung eines neuen Genres wie etwa des Liedgesangs. Und für den einen oder anderen sind es gleich mehrere Erfahrungen dieser Art innerhalb eines Jahres. Ich schätze mich glücklich, das Vertrauen meiner Künstler zu haben und mit ihnen die Erkenntnisse und Entwicklungen eines Jahres und letztendlich einer ganzen Karriere reflektieren zu können. Denn Stillstand wäre Rückschritt. Das betrifft gleichermaßen Oper und Konzert, Barock, Klassik, Romantik und Zeitgenössisches, Vokales wie Instrumentales. Deshalb möchte ich nicht Höhepunkte einzelner Künstler hervorheben; der eine hat heuer gleich mehrere richtungsweisende Schritte getan, für den anderen stehen sie gerade im Neuen Jahr bevor.

VA: Die beste musikalische Erinnerung des Jahres ohne KünstlerInnen von uns ?

LD: Leider kann ich nicht alle Produktionen besuchen, die ich gerne live erleben möchte. Zum Glück gibt es mittlerweile neue Web-Medien wie Medici TV oder Arte Live Web, die uns erlauben, Opernerlebnisse virtuell mitzuerleben. Natürlich ersetzt das in keinster Weise das Live-Erlebnis, aber es ist immerhin besser als nichts! Zu einer dieser Erfahrungen gehörte für mich die  berührende Uraufführung von Claude von Thierry Escaich an der Opéra national de Lyon.

FH: Interessant, dass auch dich Zeitgenössisches am meisten beeindruckt hat! Für mich war es die überwältigende Aufführung von Written on skin des Briten George Benjamin am Theater an der Wien. Aber auch die Erkenntnis, dass ein junger Komponist wie Iain Bell durchaus theaterwirksam zu schreiben imstande ist, wie er mit A Harlot's Progress bewiesen hat. Natürlich neben hervorragenden Aufführungen des üblichen Standard-repertoires. Aber immerhin kann die Gegenwartskunst mit manchem wieder aufschließen. Man vergisst zu leicht, dass auch Mozart, Verdi und Strauss einmal "Neue Musik" waren. 

VA: Die schlechteste Erfahrung des Jahres ?

LD: Die schlimmsten Erfahrungen sind für mich meistens logistische. Und so schlimm war es dieses Jahr nicht. Keine Aschenwolke, kein Schneechaos, keine Bahnstreiks in Frankreich… Bis auf dass ich einmal aufgrund von sintflutartigen Regenströmen, die schlussendlich Hochwasser auslösten, zwei, drei Stunden lang in Salzburg im Zug festsaß und meine Reise nach Deutschland nicht fortsetzen konnte, ist alles mehr oder minder reibungslos gelaufen ! Ich bereue allerdings, dass ich bei der IAMA Conference, die dieses Jahr in Wien stattgefunden hat, aufgrund eines furchtbar dichten Terminkalenders nicht durchgehend dabei sein konnte. Ich halte diese jährliche Konferenz für sehr wichtig: Auf einmal kann man sich unter KollegInnen (AgentInnen und ProduzentInnen) freundschaftlich und entspannt unterhalten, sich besser kennenlernen, sich besser gegenseitig verstehen und dadurch respektieren. Schließlich sitzen wir alle imselben Boot. Dem sollten wir uns bewusst sein in einer Zeit, wo die Konkurrenz immer stärker wird und die Budgets kleiner werden.

FH: Respekt ist für mich in diesem Zusammenhang das magische Wort. Von außen betrachtet mag es den Anschein haben, dass wir im Kulturbereich Beheimatete auch kultiviert miteinander umgehen. Aber natürlich sind auch wir einem sich ständig steigenden wirtschaftlichen Konkurrenzdruck ausgesetzt. Speziell darum halte ich das gute, faire und vor allem respektvolle Übereinkommen gegenüber den Mitbewerbern für unablässig. Das kann bei derartigen Konferenzen angebahnt, muss aber auch im täglichen Umgang gepflegt werden. Für mich ist es eine schlimme Erfahrung der letzten Jahre, dass korrektes Verhalten als Schwäche interpretiert wird. Aber es muss sich wohl jeder Künstler den Agenturpartner seiner Wahl und somit auch den Stil seiner Vertretung selbst wählen.

VA: Und wie seid ihr mit der neuen gemeinsamen Webseite zufrieden ? 

LD:  Wir haben unsere neue gemeinsame Webseite im vergangenen März lanciert und nach den Rückmeldungen zu urteilen, wurde sie von allen Seiten sehr positiv aufgenommen. Das freut mich natürlich, weil viel Arbeit dahinter steckt. Es freut mich auch, dass wir so viele BesucherInnen haben: ca. 14.000 Einzelbesucher innerhalb von weniger als 10 Monaten und etwa 95.000 abgerufene Seiten. Nicht schlecht für eine so spezialisierte Seite wie unsere !

FH: Und natürlich ist die Webseite immer ein Work in Progress. Um die konzeptiven Programmentwürfe unserer Künster in unterschiedlichsten stilistischen Ausrichtungen entsprechend darstellen zu können, stehen wir gerade davor eine ergänzende Option einzusetzen. Ich denke, wir sind wohl beide der Überzeugung, dass wir das künstlerische Profil des jeweiligen Künstler auf diese Weise noch besser darstellen können.

VA: Wie sieht euer Schlusswort aus?

FH: Das müssen wir an dich zurückgeben! Was ist denn dein eigenes Resumée zum Jahr 2013?

VA: Auch für mich war das Aufbauen der Website ein tolles Projekt. Ich habe mich gefreut, darin so stark eingebunden zu sein und auch, dass wir darin gendern, was ich sehr wichtig finde. Ebenso kann ich zufrieden auf einige gut gelöste komplizierte Reiseorganisationen zurückblicken und darauf, dass ich bisher all meine Fremdsprachenkenntnisse bei euch einsetzen konnte. Ich bin auch glücklich darüber, neue Kontakte mit unseren diversen VertragspartnerInnen geknüpft zu haben und unsere KünstlerInnen besser kennengelernt zu haben. Wenn diese nach Wien kommen, sind sie bei uns im Büro immer gern gesehene Gäste.

LD: Und wir freuen uns sehr, dass wir dich haben! Ohne dich als Meisterin des Back Offices wären wir verloren!

Dezember 2013